Freitag, 14. August 2015

Kapitel 1 - Teil 1

Er konnte die Blicke spüren, obwohl er den Kopf nicht hob.  Er konnte das Publikum hören, das sich vor der Bühne aneinander drängte. Es wurde getuschelt. Frauen wisperten. Seine Hände lagen ruhig in seinem Schoss. Ganz still wartete er, bis vollkommene Ruhe in der Halle eingekehrt war. Erst dann hob er seine Hände auf die Tasten des Flügels und begann zu spielen. Beifall erklang. Unwirsch runzelte der Mann auf der Bühne die Stirn, bevor die Melodie Besitz von ihm ergriff und danach verlangte, freigesetzt zu werden.
Als er die Stimme erhob, brachte der Gesang die Menge zum Verstummen, lockte sie, verführte.  Der Klang und die Worte, raubten der lauschenden Menge den Atem. Man drängte sich näher an die Bühne, ohne sich dessen bewusst zu sein. Er verführte die Menschen, schlug sie in seinen Bann. Melodie und Stimme umschmeichelte das Publikum, gingen unter die Haut und eroberte den Geist, so dass aller Augen wie gebannt auf den Mann am Flügel starrten.

Der Künstler ließ die Augen geschlossen, um den Anblick der Menge auszuschalten, und verlor sich ganz in seinem Lied. Die Musik strömte aus ihm heraus und durch ihn hindurch, war Ausdruck leidenschaftlicher Gefühle, zu denen er fernab der Bühne nicht in der Lage war. Die Klänge kamen tief aus seinem Inneren und wurden über seine Finger auf die Tasten und über seine Kehle ins Mikro geleitet. Melodien, leicht wie ein Windhauch, wehten über die Zuhörer. Der Sänger bewegte sich kaum, nur hin und wieder unterstrich er eine Zeile mit einem Kopfnicken. Alle Faszination ging allein von seiner Stimme aus. 

Das Lied verklang, und tosender Applaus erfüllte die Luft. Einige der Zuschauer riefen seinen Namen. Der Künstler schien wie aus einem Traum zu erwachen, lächelte kurz den Menschen zu und bedankte sich mit einem Kopfnicken. Dann begann das nächste Stück. Wieder hörte man anfangs lediglich die Klänge des Flügels. Sobald der Gesang einsetzte, erfüllte die Vollkommenheit dieser Stimme die Luft. Das Publikum hörte dem Sänger zu und vergaß die Zeit. Lied um Lied tauchte es mit ihm in die  schillernde Welt der Musik ein, der seine Stimme noch nicht gekannte Farben und Funken hinzuzufügen vermochte.

Ethan entführte bei diesem letzten Konzert in New York noch einmal seine Zuhörer in eine faszinierende Stimm- und Klangwelt, bildete mit seiner Musik eine Kulisse zu einer musikalischen Reise der Gefühle. Das Publikum bedauerte es merklich, als er schließlich sein letztes Stück gesungen hatte und ohne Zugabe von der Bühne verschwand. So lange er auf der Bühne stand, oder an seinem Flügel saß, ging es ihm gut. Alles leuchtete in bunten Farben. Glühend heiße Bilder zogen durch seinen Kopf. Ein Gefühl, als stünde er in Flammen, züngelte über seine Haut. Als MÜSSTE er in Flammen stehen. Hier und jetzt fühlte er sich lebendig. Aber sobald er die Bühne verließ, war es, als ließe er sich dort oben zurück.

Die Limousine wartete hinter der Halle auf ihn. Autogrammjäger warteten vergebens. Ethan würdigte sie keines Blickes, nicht ein einzelner  Muskel zuckte in seinem Gesicht, trotz der lauten Rufe der wartenden Fans. Er stieg ein, lehnte sich in die weichen Polster zurück und schloss die Augen. Nun ging es weiter nach Los Angeles. Noch heute Nacht. Neues Spiel, neues Glück.

Der Jet setzte zur Landung an und Ethan öffnete die Augen. Los Angeles lag vor ihm. Und als kleines Schmankerl obenauf Elija. Die kleine Prinzessin war seit einer geschlagenen Woche nicht ans Handy gegangen, wenn er versucht hatte Kontakt aufzunehmen. Nicht mehr lange, und er bekam ausreichend Gelegenheit dem Zwillingsbruder seine Ignoranz heimzuzahlen. Nun aber hieß es erst einmal den Belästigungen auf dem Rollfeld zu entgehen. Fans waren die Konsumenten, welche die Musik und den Merchandise kauften, zu Konzerten gingen und den Künstler unterstützten. Ethan war dieser Umstand sehr wohl bewusst, aber ebenso zuwider. Sein Management jedoch bestand darauf, dass er sich mit ihnen abgab. Und auch dieses Mal hatte ein Radiosender es wieder einigen dieser lästigen Geschöpfe ermöglicht, am Rollfeld einen Blick auf ihren Star zu erhaschen.

Die Gangway dockte am Jet an und die Tür wurde geöffnet. An dem hohen Kreischen, das grauenvoll in Ethans Ohren schmerzte, erkannte er unschwer, dass der größte Teil der Anwesenden aus Frauen bestand. Mit einer winzigen Handbewegung orderte der Sänger einen Personenschützer an seine Seite. „Halten Sie mir das Gesindel vom Hals“, befahl er ohne jede sichtbare Regung. Nein, er hatte nichts gegen Frauen. Sie waren wichtig für die Gesellschaft. Und so lange sie taten, was er sagte und ihm nicht zu nahe kamen, war alles in Ordnung. Er war lediglich gegen die Gleichstellung von Mann und Frau. Schließlich konnten ja nicht beide stehen. Sie musste knien, sonst machte es keinen Spaß.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen