Dienstag, 18. August 2015

Kapitel 1 Teil 2

Die Luft in diesem alten klobigen Gebäude hing schwer und feucht im Raum. Hier unten, versteckt in einem kleinem Keller, gab es nur ein einziges Fenster, dass ein wenig Licht hinein warf, gerade so viel, dass sie sehen konnte, wo etwas stand. Eine Unterkunft von vielen. Es gab weitaus schlimmere Orte, kein Gefühl half ihr, sich irgendwo wie zu Hause zu fühlen. Oder sicher aufgehoben. Worüber definierte man so etwas auch? Es gab eine Pritsche mit alten löchrigen Decken. Ein Handtuch und anderer Kram standen oder lagen viel mehr herum. Ordnung war kein System, das sie verstand oder gar sicher anwenden konnte. Das alte Fabrikgebäude, am Rande der Stadt, stand leer. Noch. In den letzten Wochen waren immer wieder Interessenten gekommen, verschiedenste Makler redeten diesen großen Haufen Schrott schön und zukunftsträchtig.

Schauen Sie sich diese großen alten Industriefenster an! Roter Ziegelstein ist wieder schwer im Kommen! Und erst diese großen hellen Räume! So sehr der äußere Schein auch mit einem gewissen Charme bestach, sobald man im Inneren stand, kam einem der feuchte modrige Geruch entgegen. Hier muss einfach nur mal ordentlich gelüftet werden half auch nicht dabei, das undichte Dach schön zu reden. Bisher hatte niemand langfristiges Interesse bekundet, was ihr nur gelegen kam. So konnte Izzy weiterhin ungestört in dem kleinen Kellerraum hausen. Auf einem Holzstuhl, dessen Rückenlehne irgendwann abgebrochen war, lagen Kosmetikartikel. Wimperntusche, Rouge, Lippenstift. Wer sie kannte und davon gab es gewiss nicht viele Menschen, wusste, dass sie für nichts davon auch nur einen Cent ausgegeben hatte. Eine Frau brauchte Make-up, es war für das Leben notwendig, also glich das doch irgendwie eher einem Mundraub, als wirklichem Diebstahl, oder?

Müde schob sie sich von der Seite auf den Rücken, atmete die muffige Luft tief ein und streckte sich langsam und ausgiebig. Es war Abend geworden. Eine neue Nacht und vielleicht neues Glück. Wobei es nie ganz klar war, was das zu bedeuten hatte. Was war Glück? Schwermütig mühte sie sich aufzustehen, kämmte sich die langen dunklen Haare mit einem Kamm, der seine beste Zeit schon längst hinter sich hatte. Für ein wenig Wasser musste Izzy tatsächlich ein Stockwerk hinauf gehen. Dort verlief die noch einzig intakte Leitung, welche sie mit kaltem Wasser versorgte. Trotz der Wärme, welche sich über den Tag in diesen Räumen aufgestaut hatte, bekam sie eine Gänsehaut, als sie sich sich das Gesicht wusch. So warm wie es hier war, wäre es sicherlich auch der ideale Platz gewesen, um ihre Sachen zu waschen und trocknen zu lassen. Wenn man dabei vergaß, dass der modrige Geruch in die Kleidung zog. Allerdings hatte Izzy sich diesen Komfort nicht gegönnt, ihr war das Risiko zu groß gewesen, entdeckt zu werden. Die meisten Sachen waren dreckig, knitterig und muffelten. Ihr wäre nicht im Traum der Gedanke gekommen, einen Halt in einen Waschsalon zu machen. Davon gab es, vor allem in den ärmeren Gebieten der Stadt, jede Menge. Die wenigsten Leute konnten sich eine Waschmaschine leisten. Aber sie sah nicht ein, dafür Geld zu bezahlen. Schon dreimal nicht, wenn sie diesen Service auch für umsonst haben konnte.

Sie suchte ihre Schmutzwäsche zusammen, stopfte alles in einen ausgeblichenen alten Rücksack und schob sich die Scherbe von einem kaputten Spiegel hervor, um sich in Ruhe zurecht zu machen. Ein wenig Wimperntusche sorgte dafür, dass die blaugrauen Augen besser zur Geltung kam. Das Rouge ließ ihr Gesicht schmaler wirken. Es brauchte nicht viel, um gut auszusehen. Und mit einem schöneren Äußeren war es auch etwas leichter, hier und dort an Geld zu kommen. Mit dem Rucksack verließ sie ihre Unterkunft und lief in die Nähe des Huntington Parks, um von dort in den Westen der Stadt zu gelangen. Die Straßen waren so ruhig und dunkel, dass sie immer wieder stehen blieb und sich umsah. Hier, gerade in diesen Bezirken, durfte man nicht unachtsam sein, es wäre nicht das erste Mal, dass man sie versuchte, zu berauben. Über die Jahre hatte Izzy einige wenige Kontakte aufgebaut. Kontakte, bei welchem sie für ein paar Nächte schlafen konnte oder etwas zu essen bekam oder wo sie in Ruhe ihre Wäsche waschen konnte, vielleicht ausgiebig duschen und mit ein wenig Glück auch was zu Essen bekam. Die Fahrt dauerte, wenn es nach ihrem leeren knurrenden Magen ging, viel zu lang. Aber schließlich stieg sie in Beverly Hills aus und lief nordwestlich, um in die Holmby Hills zu gelangen. Wer hier wohnte, hatte es geschafft. Das sagten zumindest die Leute, die davon träumten, ein geregeltes, sicheres und komfortables Leben zu führen.

George war ein alter Mann, mit silbergrauem Haar und unzähligen Falten im Gesicht. Er war hager, arbeitete schwer, aber was sie am meisten faszinierte, war, dass er seine Lebensfreude nicht verlor. Egal wann, egal wie schlecht es ihm ging; es war stets ein Lächeln, dass er ihr schenkte. Erst seit einem Jahr hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint. Er bekam eine Stelle als Hausmeister in einem Hotel. Sicherlich hätte er auch dafür sorgen können, Izzy dort unterzubringen. Aber sie hatte sich noch nie damit anfreunden können, jeden Tag, zu einer konkreten und festen Zeit irgendwo sein zu müssen. Das war einfach nicht ihr Ding. Aber darum sollte es an diesem Abend auch gar nicht gehen. Wenn er nachts arbeitete (immerhin musste man für die Reichen und Schönen jederzeit verfügbar sein!), konnte sich das auch für sie auszahlen. Sie bog um die Ecke und ließ den Haupteingang links liegen. Als sie sich dem Hinterausgang nährte, musste sie feststellen, dass sich dort einige Frauen befanden, die akribisch auf die Straße blickten. Die Dunkelhaarige stellte sich dazu, starrte wie sie auf die Straße. „Ihr wartet genau auf wen?“ fragte sie nach einem Moment, sah sie an und bemerkte aufrichtige Empörung in den Gesichtern der Damen, die herausgeputzt und aufgetakelt dort standen. „Foster. Ethan Foster.“ Ihre Augenbrauen zogen sich nach oben. Aha. Wer bitte?

Achso“, erwiderte Izzy dann und hoffte, noch schnell genug reagiert zu haben. „Ja habt ihr das nicht gehört? Der wurde geseh' “, noch ehe sie zu Ende reden konnte, stürzten die Furien auf sie ein. „Wo denn? Wo? Wo wurde er gesehen? Wir wollen ein Autogramm!“, fehlte nur noch, dass gleich jemand brüllte: Ich will ein Kind von ihm! Die Brünette atmete durch und brachte sich etwas auf Abstand. „Also passt auf: Der hat vor einer halben Stunde im Four Seasons eingecheckt“, fragend sahen sie sich gegenseitig an, wogen ab, ob sie die Wahrheit erzählte. Izzy zuckte mit den Schultern. „Schade, dass das wohl dieses Mal nichts wird“, erklärte sie, um ihrer kleinen Lüge ein wenig Halt zu geben. Dann kam Bewegung in die Herde und sie rannten die Straße herunter. Das war einfach. Einen Augenblick sah sie der Meute grinsend hinterher. Sie riefen sich ein Taxi an den Straßenrand, kaum zu glauben, wie sie sich in die Sitze zwängten. Aber immerhin, hier herrschte nun Ruhe und sie konnte versuchen, halbwegs ungesehen in das Bel Air hinein zu kommen.

Das war allerdings nicht so einfach. Sie suchte nach einer Stelle, an welcher die Mauer nicht so hoch war und kroch darüber, die Landung war unsanft, ihr Hintern schmerzte, genauso wie ihre Arme vom hochziehen. Für die Zukunft müsste sie überlegen, einen einfacheren Weg zu finden. Warum war ihre Wäsche bitteschön auch so schwer? Sie zupfte sich, leicht genervt, die Randbepflanzung aus Haare und Kleidung und stakste zwischen dem Grünzeug in Richtung des Nebengebäudes. Von diesem Augenblick an hieß es abzuwarten, bis sie George entdeckte, denn auch der Hintereingang wurde bewacht. Warum eigentlich? War das letztes Mal auch schon so gewesen? Es vergingen einige Stunden, offensichtlich hatte sie heute einfach einen falschen Tag erwischt und George war gar nicht hier. Aber dann wendete sich das Blatt, sie sah ihn, wie er gerade einen Wagen mit frischen Handtüchern vor sich her schob „George! Psst!“ Er blieb stehen, sah sich um und musste mehrmals gucken, um Izzy endlich auszumachen. Prüfend schaute er hinter sich, machte eine Handbewegung und deutete an, dass sie zu ihm kommen sollte. Sie hockte sich auf den Wagen und ließ sich von ihm ins Gebäude schieben. „Man erwartet berühmten Besuch“, erklärte er leise und besonnen.

Drinnen legte sie ihren Rucksack ab und sah sich um. „Wie schaut es aus? Kann ich hier meine Wäsche waschen?“, er schob sie dabei weiter in die Räume der Angestellten. „Du musst aber dafür sorgen, dass dich niemand entdeckt“, er sah sie prüfend an. „Ich geb dir ein paar Sachen von den Angestellten hier, dann kannst du alles waschen“, auf George war einfach Verlass. Mit einem verschmitzten Grinsen zog sie den Rucksack hinter sich her und begann die dreckigen Sachen in die Waschmaschine zu stopfen. Er legte ihr die Ersatzkleider hin und beobachtete sie eine Weile. „Du könntest hier auch arbeiten“, er versuchte es immer wieder. „Aber dann haben wir beide doch keine heimliche Affäre mehr“, erwiderte sie frech fröhlich, was ihn zum Lachen brachte. Izzy verschwand in den Sanitärbereich, drehte das Wasser auf und stellte sich unter die Dusche. Ja, auch so etwas musste sein. Das warme Wasser war angenehm und löste Dreck und Schweiß von ihrer Haut, es gab sogar hoteleigenes Shampoo, dass sie benutzen konnte. Luxus pur. Die Haare trocken rubbelnd schlüpfte sie in das weiße Hemd und wartete darauf, dass sie ihre nassen Sachen in den Trockner hauen konnte. So langsam durfte es auch durchaus Zeit werden, um etwas zu essen zu bekommen.

Hey, du musst neu sein. Zieh dich um und komm hoch in die Küche. Wir machen heute den Zimmerservice“, Was? Misstrauisch sah sie zu dem Typen auf, der gerade hinein gekommen war. Das war blöd, den George war nirgendwo zu sehen. Zimmerservice? Essen! Sie schlüpfte in den schwarzen Rock. „Die Schürze noch“, er hob den Arm und deutete darauf, sie folgte dem Fingerzeig und band sich auch das Ding (eindeutig widerwillig) um die Hüften. Fehlte nur noch ein Häubchen. Ihr war der ganze Zirkus jetzt schon zu viel, allerdings siegte ihre Neugier. Immerhin konnte sie so doch nicht leichter an was Essbares ran kommen. „Wie heißt du? Ich bin Benjamin“, stellte er sich vor, als sie im Fahrstuhl standen und sie am anderen Ende des Ganges George entdeckte, der gerade nicht sehr glücklich aussah. Warum nur? „Elisabeth.“

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